Medizin und Ökonomie auf der Agenda der Bioethikkommission


Öffentliche Sitzung

Die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt (BEK) beschäftigte sich am

5. Okt. 2015 in einer öffentlichen Sitzung mit dem Thema „Medizin und Ökonomie – ein Tabu?“[1]. Dass dieses Thema für die Ethik eben kein Tabu sein dürfe, wurde in den Gesprächen deutlich. Immerhin geht es um grundlegende ethische Fragen in der Spannweite von Gerechtigkeit und Werten.

Gerechtigkeit als Maßstab

Ein zentraler ethischer Maßstab in der Medizin- wie in der Sozialethik ist jener der Gerechtigkeit. Darunter versteht man nicht nur Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, sondern auch die Achtung fundamentaler

Rechte. So ist das Thema „Ökonomie und Medizin“ stets auch unter dem

Blickwinkel des Diskriminierungsschutzes zu sehen: Ökonomische Entscheidungen in der medizinischen Versorgung, Pflege, Therapie und sozialen Betreuung dürfen demnach nicht von Alter, Geschlecht, chronischer Erkrankung oder Behinderung determiniert werden. Vielmehr noch erfordert eine Anti-Diskriminierung den geschärften Blick auf Personen, die unter den Maßstäben der Mehrheit marginalisiert werden.


Damit kommt ein weiterer Aspekt von Gerechtigkeit ins Spiel: jener der Fairness. Fairness verlangt, allgemein gesprochen, u.a. die Einbeziehung der Betroffenen. Dies fängt in der konkreten Behandlungs- bzw. Betreuungssituation an: mit der gemeinsamen Entscheidungsfindung zwischen Patient und Arzt, Pflegekraft oder Therapeut hinsichtlich

der Behandlung. Die faire Einbeziehung ist darüber hinaus auch auf

übergeordneten Allokationsebenen gefragt: z.B. in gesundheits- und

sozialpolitischen Entscheidungsgremien. Beide Beispiele der fairen Einbeziehung der Betroffenen wurden in der öffentlichen Sitzung der BEK thematisiert.

Ökonomie und Werte

Ökonomisches Denken hat viel mit Werten zu tun – hier trifft sich die

Ökonomie mit der Ethik. In den Referaten der öffentlichen Sitzung der BEK wurde deutlich, dass Entscheidungen im Gesundheitswesen durch unterschiedliche Wertesysteme beeinflusst werden: So macht es z.B. einen Unterschied, ob eine Organisation den Wert der Profitmaximierung oder den Wert der Gemeinnützigkeit verfolgt. Das österreichische Gesundheits- und Sozialsystem ist darüber hinaus dem Wert der Solidarität verpflichtet – worin sich wiederum der Wert des Füreinander-Einstehens ausdrücken soll.

Verantwortungsbewusster Umgang

In den Gesprächen kristallisierten sich drei grundlegende Ansatzpunkte

heraus, wie mit ökonomischen Fragen in der Medizin umgegangen werden kann:

Ansatzpunkt 1: Ressourcenaufstockung

Der erste Ansatzpunkt besteht darin, dass wir dem Gesundheits- und

Sozialsystem mehr Ressourcen zur Verfügung stellen. Diese Option kann als

Investition in eine – wie es Ethiker manchmal nennen – „anständige Gesellschaft“ gesehen werden, welche nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine moralische Rendite bewirkt. Die Option der Ressourcenaufstockung ist aber immer auch mit „Opportunitätskosten“

verbunden, d.h. mit dem Verzicht auf andere Ziele. Hier lässt sich die

berechtigte Frage stellen, unter welchen Bedingungen dem Gesundheitssystem in seiner derzeitigen Verfasstheit mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, und wofür diese Ressourcen eingesetzt werden. Auch diese Fragen wurden in der öffentlichen Sitzung der BEK thematisiert.

Ansatzpunkt 2: Effizienzsteigerung

Der zweite Ansatzpunkt besteht darin, dass wir die Ressourcen, die dem

Gesundheits- und Sozialsystem zur Verfügung stehen, noch effizienter als

bisher einsetzen. Für diesen Ansatzpunkt der Rationalisierung spricht der ethische Begriff der Verantwortung: Ein verantwortungsbewusster Umgang mit den Ressourcen verlangt u.a., dass Formen der Über- und Fehlversorgung vermieden werden, damit auf Formen der Unterversorgung mit freigewordenen Ressourcen reagiert werden kann. So einleuchtend die Devise der Effizienzsteigerung ist, so schwierig ist sie mitunter in einem sozialen System umzusetzen: immerhin geht es um Menschen (als Patienten wie als Angehörige von Gesundheitsberufen), die anders reagieren als eine zu optimierende Maschine. So wurde in der öffentlichen Sitzung der BEK beispielsweise deutlich, welche Risiken mit „simplen“

Rationalisierungsmaßnahmen in der Pflege verbunden sein können: nämlich ein Weniger an Aufmerksamkeit für den Patienten bzw. Bewohner; oder den vermehrten Einsatz von Psychopharmaka, um unruhige Patienten/Bewohner „ruhig zu stellen“ (vgl. dazu auch den Bericht der Volksanwaltschaft[1]). Solche Folgen unterlaufen letztlich grundlegende Gerechtigkeitsmaßstäbe. „Simpel“ sind Rationalisierungen v.a. dann, wenn bloß Personalressourcen gekürzt werden, ohne sich über die Qualitätsstandards, Arbeitsabläufe und Kompetenzen des Personals sowie

die Überprüfung dieser Merkmale zuvor Gedanken zu machen.

Ansatzpunkt 3: Leistungsbegrenzungen

Der dritte Ansatzpunkt besteht darin, dass wir die Ressourcen, die im

Gesundheits- und Sozialsystem verwendet werden, begrenzen – man spricht in diesem Zusammenhang von „Rationierung“. In der öffentlichen Sitzung der BEK wurden zwei Aspekte dieser Option konstatiert: Einerseits besteht bereits heute die Tendenz, Leistungen zu begrenzen – dies wurde an den Beispielen besonders teurer Medikamente und der Zeit, die Ärzte und Pflegekräfte zur Verfügung haben, diskutiert. Andererseits ist es extrem schwierig, solche Rationierungen explizit zu begründen – dies wurde mit internationalen Beispielen zu Prioritätensetzungen bei Gesundheitsleistungen illustriert. Ohne eine faire Diskussion der Rationierungsphänomene besteht freilich das Risiko, dass v.a. jene Personengruppen unterversorgt bleiben, die ohnedies schwerer Gehör finden – etwa Menschen mit einem sozio-ökonomisch schwachen

Status (vgl. dazu die Gesundheitsgespräche des Forum Alpbach 2015[2]), Menschen mit Behinderungen, Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen, Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Ein komplexes Problemfeld benötigt kontinuierliche kritische Wachsamkeit

Die öffentliche Sitzung der BEK diente insbesondere dazu, für das

Problemfeld zu sensibilisieren. Dabei wurde nicht zuletzt deutlich, dass simple „Lösungen“ nicht zu erwarten sind, sondern es vielmehr um eine fortlaufende kritische Aufmerksamkeit für die Wechselwirkungen von Ökonomie und Medizin geht.

Referenzen

[1] Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt,

http://www.bka.gv.at/bioethik (6.10.2015).

[2] Volksanwaltschaft. Präsentation des Jahresberichts der Volksanwaltschaft am 22.4.2015, http://volksanwaltschaft.gv.at/downloads/850h2/Presseunterlage%20HP.pdf

(6.10.2015).

[3] Europäisches Forum Alpbach. Gesundheitsgespräche 2015: Ungleichheit macht krank – Krankheit mach ungleich, http://www.alpbach.org/de/event/gesundheitsgespraeche/

(6.10.2015).