Gentherapie: neue, zielgerichtete Eingriffsmöglichkeiten und alte ethische Fragen


Eingriffe in die Gene von Körperzellen

Seit mehreren Jahrzehnten wird daran geforscht, genetische Defekte im menschlichen Erbgut zu identifizieren und in der Folge zu reparieren. Ein erster großer Schritt wurde durch die vollständige Sequenzierung der Human-DNA bewerkstelligt. Dadurch wurde eine Voraussetzung dafür geschaffen, die Lokalisation der Gene zu bestimmen. Das Verständnis, welche Gene welche Krankheiten beeinflussen, wächst – ist aber (v.a. bei polygenetisch bedingten Erkrankungen) noch rudimentär. Forscher haben damit begonnen, Therapieansätze für Krankheiten wie HIV/AIDS, Hämophilie, Sichelzellen-Anämie und verschiedene Krebsformen zu erkunden, indem die für diese Erkrankungen als ursächlich angesehenen Gene durch gezielte Eingriffe verändert werden. Bei diesen Experimenten handelt es sich um sogenannte „somatische Gentherapien“, da von den Eingriffen nur Körperzellen betroffen sind; der Begriff „Therapie“ ist allerdings insofern irreführend, als es bislang noch nicht gelungen ist, ein klinisch nachhaltig wirksames Standardverfahren hierfür zu entwickeln.

Präzisionstechnik

Nunmehr soll die Genmanipulation in die nächste Runde gehen: Mittels einer neuen, verfeinerten Technologie, CRISPR-Cas9, besteht die Möglichkeit, viel zielgenauer als zuvor Genabschnitte auszutauschen. Damit soll das Risiko der sogenannten „Off-target“-Manipulationen reduziert werden; solche Manipulationen waren unbeabsichtigte, oft karzinogene, Veränderungen in anderen Abschnitten des Erbguts, als in jenem Abschnitt, den man mit (noch nicht so präzisen Techniken) manipuliert hat.

Eingriffe in die Gene von Keimzellen

Mittels CRISPR-Cas9 überlegen Forscher, auch in die Keimbahn des Menschen (also in das Erbgut) einzugreifen[1]. Das Ziel dieses Genome Editing ist dasselbe wie bei Manipulationen an somatischen Zellen – die Reparatur von genetischen Dispositionen für Krankheiten –, allerdings nicht nur für den vom Eingriff betroffenen Menschen selbst, sondern für alle seine Nachkommen (daher der im Deutschen gebräuchliche Ausdruck „Keimbahntherapie“).

Wie lange hält das Tabu noch?

Eingriffe in die Keimbahn galten bis dato als Tabu. 1975 verabschiedeten Genforscher auf der internationalen Konferenz im kalifornischen Asilomar strenge Selbstbeschränkungen für ihre Arbeit[2]. Dies schlug sich mitunter in staatlichen Normen nieder, darunter auch im österreichischen Recht (§ 64 GTG, § 9 Abs. 3 FMedG). Keimbahneingriffe werden im Wesentlichen aus zwei Gründen abgelehnt: Zum einen sind die dafür verwendbaren Technologien zu unsicher. Auch bei der nun verfeinerten CRISPR-Cas9-Methode kann nicht mit hinreichender Sicherheit gesagt werden, wie sich der Eingriff auf den betroffenen Menschen auswirken würde. Noch viel zu rudimentär ist nämlich das Wissen um polygenetisch bedingte Krankheiten und die multifunktionale Beschaffenheit vieler Gene. Dieses pragmatische Argument wird zum anderen von einer fundamentaleren Überlegung ergänzt: Welche Legitimation haben wir, um in das Erbmaterial künftiger Generationen ohne deren Konsens (scheinbar) zielgerichtet einzugreifen?

Ethische Abwägungen

Die Befürworter[3] der Keimbahnmanipulation könnten darauf verweisen, dass die Natur laufend dasselbe tut. Doch im Gegensatz zur Natur müssen Menschen für ihr Handeln Verantwortung übernehmen. Etliche Genforscher beurteilen Keimbahneingriffe als außerhalb des verantwortbaren Bereichs der Forschung[4]. Sie verweisen darauf, dass die Technik nicht nur zu unpräzise für so weitreichende Folgen sei; vielmehr wäre damit auch ein Schritt in Richtung positive Eugenik („Designerbaby“) getan, weil das Interesse, durch Genome Editing nicht nur unerwünschte Gendispositionen für Erkrankungen zu reparieren, sondern erwünschte Dispositionen ins Genom einzuschneiden, steigen würde. Die Befürworter des Genome Editing verweisen demgegenüber auf die rechtlichen Beschränkungsmöglichkeiten, mit denen solche unerwünschten Eingriffe verboten werden können[3].


Derzeit scheinen die verstärkten Bemühungen, Keimbahnmanipulationen in den Griff zu bekommen, einem ethisch ambivalenten Ethos der Heilung zu folgen. Demnach rechtfertige ein potenziell hoher Nutzen (Ausschaltung genetisch bedingter Erkrankungen) die Forschungs- und Anwendungsrisiken des Genome Editing (z.B. „Off-target“-Genmanipulationen). Aus ethischer Perspektive wären für die Entscheidung zumindest folgende Fragen zu diskutieren[5]: Inwiefern kann Genome Editing technisch sicher genug durchgeführt werden? Welcher medizinische Nutzen wiegt schwerer als die Anwendungsrisiken? Wer soll das Recht haben, in einen Keimbahneingriff einzuwilligen? Wie würde routinemäßiges Genome Editing unsere soziale Welt verändern? – Eric Lander bringt die ethische Abwägung so auf den Punkt: Ein Bann des Genome Editing (v.a. des Keimbahneingriffs) könne später noch immer aufgehoben, werden, wenn wir technisch sicher, wissenschaftlich kompetent und moralisch weise genug sind, um einen zwingenden Grund für Genome Editing am Menschen begründen zu können[5].

Referenzen

[1] Regalado A. Engineering the perfect baby. Cambridge, MA: MIT Technol Rev. http://www.technologyreview.com/featuredstory/535661/engineering-the-perfect-baby/ (22.3.2015).

[2] Berg P et al. Summary statement of the Asilomar Conference on Recombinant DNA Molecules. Proc Nat Acad Sci. 1975;72(6):1981-4.

[3] Savulescu J et al. The moral imperative to continue gene editing research on human embryos. Protein Cell. 2015 DOI 10.1007/s13238-015-0184-y.

[4] Lanphier E et al. Don’t edit the human germ line. Nature 2015;519(7544):410-1 DOI 10.1038/519410a • Vogel G. Embryo engineering alarm. Science. 2015;347(6228)1301 DOI 10.1126/science.347.6228.1301.

[5] Lander ES. Brave new genome. N Engl J Med. 2015:373(1):5-8 DOI 10.1056/NEJMp1506446.