Kraniektomie beim malignen Mediainfarkt:


Der „maligne Mediainfarkt“

Schlaganfälle weisen insbesondere dann eine hohe Mortalität und Morbidität auf, wenn sich in ihrer Folge ein Hirnödem ausbildet.[1] Verschiedene Ursachen können zu Hirnödemen mit einem lebensbedrohlichen Hirndruckanstieg führen – u.a. intrakranielle Blutungen (hämorrhagischer Schlaganfall), Subarachnoidalblutungen und der ischämische Schlaganfall (Hirninfarkt).[2] Ein Schlaganfall in Verbindung mit einem Hirndruckanstieg wird „maligner Mediainfarkt“ (oder „raumfordernder Mediainfarkt“) genannt.[2],[3]

Therapieansätze

Für die Behandlung eines lebensbedrohlichen Hirndruckanstiegs stehen grundsätzlich drei Therapieansätze zur Verfügung:[4]

(1.) Antiödematös wirkende Ansätze (Osmotherapie, therapeutische Hypothermie);

(2.) Ansätze, die durch eine Verringerung des zerebralen Blutvolumens den Hirndruck reduzieren (Verbesserung des venösen Rückflusses, alkalinierende Substanzen, Barbiturate);

(3.) Rein druckentlastende chirurgische Maßnahmen (dekompressive Kraniektomie, DK).

Keine der Therapien aus den Gruppen 1 und 2 hat eine Evidenz aus randomisierten Studien; die Mortalität beträgt bei diesen Ansätzen bis zu 80%.[5] Die DK, bei der ein Teil des Schädeldachs entfernt wird, verfolgt das Ziel, einer Drucksteigerung und der damit verbundenen Schädigung von Hirnarealen entgegenzuwirken.

Outcome von Kraniektomie

Die ethische Problematik, die sich bei der Indikationsstellung zur DK stellt, betrifft die Nutzen-Schaden-Abwägung:[6] Die Chancen, einen malignen Mediainfarkt 1 Jahr zu überleben, erhöhten sich durch eine DK von 29% (bei bloß konservativer Therapie) auf 78%. Die Zahl der Patienten, die innerhalb 1 Jahres wieder eine funktionelle Unabhängigkeit erreichten (mRS 3)[7], verdoppelte sich. Allerdings verzehnfachte sich die Zahl der Patienten, die innerhalb 1 Jahres eine mäßig schwere Funktionseinschränkung (mRS 4) aufwiesen. Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb 1 Jahres eine schwere Funktionseinschränkung (mRS 5) aufzuweisen, war in der Patientengruppe mit DK nicht signifikant anders als in der Patientengruppe mit konservativer Therapie. Eine rezente Studie konnten ein vergleichbares Nutzen-Schaden-Profil auch bei Patienten > 60 a feststellen.[8]

Tod oder Überleben mit Funktionseinschränkungen

Jede Indikationsstellung ist ein auf wissenschaftlichen Daten basierendes Werturteil über die Verhältnismäßigkeit einer Behandlung in Hinblick auf das Therapieziel. Bei der DK kann als zentrales Therapieziel das Überleben angesehen werden.

Somit hängt die Indikationsstellung zur DK beim individuellen Patienten davon ab, inwieweit man ein Überleben mit moderaten Funktionseinschränkungen bewusst in Kauf nimmt. Die Österreichische Gesellschaft für Neurochirurgie hat in diesem Zusammenhang versucht, Kontraindikationen zur DK zu definieren, also Umstände, in denen eine DK aufgrund des ethischen Nichtschadens-Prinzips nicht angezeigt ist.[9] Dabei wird zwischen absoluten Kontraindikationen (z.B. schwere Gerinnungsstörung, sekundäre hämorrhagische Einblutung) und relativen Kontraindikationen (z.B. schwerwiegende maligne Grunderkrankung, vorbestehender mRS von 4 oder 5) unterschieden. Insgesamt geht aus den Kontraindikationen hervor, dass das Überleben per se kein unbedingtes Therapieziel ist, sondern Aspekte der Lebensqualität ebenso eine Rolle für die Indikationsstellung zur DK spielen. Welche Funktionseinschränkungen ein Patient bereit ist, in Kauf zu nehmen, wird zum Zeitpunkt der DK-Entscheidung freilich nicht bekannt sein.

Faktor Zeit

Die Entscheidung zur oder gegen DK muss relativ rasch getroffen werden. Die DK sollte möglichst innerhalb von 48 h nach Symptombeginn durchgeführt werden – und zwar nach dem Grundsatz: je früher, umso besser.[1] Dies erfordert eine effiziente – d.h. rasche, aber gut durchdachte – Entscheidungsfindung. In diesem Kontext handelt es sich bei der DK um eine klassische notfallmedizinische Maßnahme, bei welcher der ethische Grundsatz „im Zweifelsfall für die Lebenserhaltung“ gilt. Sollte sich in der Folge herausstellen, dass der Outcome in Hinblick auf die Lebensqualität des Patienten desaströs ist oder der (mutmaßliche) Patientenwille eine Lebenserhaltung mit schweren Funktionseinschränkungen ablehnen würde, steht noch immer der geordnete Weg einer Therapiezieländerung mit einem Rückzug lebenserhaltender Maßnahmen offen.[10]

Referenzen

[1] Gautschi OP et al. Dekompressionskraniektomie bei ischämischen Hirninfarkten – Die chirurgische Perspektive. Anaesthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther (AINS). 2012;47(1):8–13.

[2] Greiner C. Indikation und Durchführung der dekompressiven Kraniektomie. Anaesthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther (AINS). 2008;43(10):682–91.

[3] Ferrari J, Lang W. Ischämischer Schlaganfall. J Neurol Neurochir Psychiatr. 2013;14(4):149–55.

[4] Keller E. Aktueller Stand und neue Ansätze in der Therapie des erhöhten intrakraniellen Drucks. Schweiz Med Forum. 2013;13(19/20):308–3.

[5] Sykora M. Neurologisch-intensivmedizinische Therapie beim Schlaganfall. J Neurol Neurochir Psychiatr. 2013;14(4):184–91.

[6] Vahedi K et al. Early decompressive surgery in malignant infarction of the middle cerebral artery: a pooled analysis of three randomised controlled trials. Lancet Neurol. 2007;6(3):215–22.

[7] Van Swieten JC et al. Interobserver agreement for the assessment of handicap in stroke patients. Stroke. 1988;19(5):604-7. Modified Rankin-Scale (mRS) = Skala zur Klassifizierung des neurologischen Defizits nach Schlaganfällen: 0 Punkte = keine Symptome; 1 Punkt = keine wesentliche Funktionseinschränkung trotz Symptomen, alle üblichen Aufgaben und Tätigkeiten können durchgeführt werden; 2 Punkte = leichte Funktionseinschränkung, nicht in der Lage, alle bisherigen Aktivitäten durchzuführen, aber in der Lage, Unterstützung zu suchen; 3 Punkte = moderate Funktionseinschränkung, erfordert etwas Hilfe, aber in der Lage, ohne Hilfe zu gehen; 4 Punkte = mäßig schwere Funktionseinschränkung; 5 Punkte = schwere Funktionseinschränkung; 5 Punkte = schwere Funktionseinschränkung, bettlägerig, inkontinent und erfordert ständig Pflege und Aufmerksamkeit.

[8] Jüttler E et al. Hemicraniectomy in older patients with extensive middle-cerebral-artery stroke. N Engl J Med. 2014;370(12):1091–100.

[9] Leber KA, Gruber A. Medizinische Kontraindikationen für eine dekompressive Hemikraniektomie beim raumfordernden Mediainfarkt: Diskussionsgrundlage der Österreichischen Gesellschaft für Neurochirurgie. J Neurol Neurochir Psychiatr. 2013:14(4):181–3.

[10] Multidisziplinäre Arbeitsgruppe (ARGE) Ethik in Anästhesie und Intensivmedizin der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI). Therapiezieländerungen auf der Intensivstation: Definitionen, Entscheidungsfindung und Dokumentation. Anaesthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther (AINS). 2013;48(4):216–23.