Der aggressive Patient oder Angehörige


Wenn Gastfreundschaft unter Druck gerät

Bei den Barmherzigen Brüdern steht im Zentrum, Patienten zu schützen, ihnen Gutes zu tun. Dasselbe gilt auch für die MitarbeiterInnen (MA), denn diese können den Ordensauftrag nur dann authentisch erfüllen, wenn sie sich vom Arbeitgeber geschützt fühlen.

Immer wieder kommt es in unseren Einrichtungen zu unangenehmen Vorfällen mit Patienten oder Angehörigen. Berichtet wird von verbaler Aggression, mitunter auch von körperlichen Übergriffen auf die MA (Schlagen, Treten, Beißen). Für die MA ist oftmals unklar, wie sie aggressive Situationen deeskalieren können bzw. wo sie Hilfe holen können, wenn eine Situation eskaliert.

Professionelles Deeskalationsmanagement

Regelmäßige MA-Schulungen im Sinne einer deeskalierenden Arbeitsgrundhaltung sind Voraussetzung dafür, dass der MA mit aggressiven oder gewalttätigen Personen souveräner umgehen kann. Dies umfasst zum einen das Erlernen von Schutzmaßnahmen bei körperlichen Übergriffen, zum anderen auch Kursangebote zur Stärkung von Kommunikations- und Konfliktmanagement. So kann der Arbeitgeber unterstützen, dass seine MA im Sinne des Organisationsauftrags agieren.

Quantifizieren und Qualifizieren von aggressiven Verhaltensweisen

Nicht jeder Übergriff kann verhindert werden. Danach ist jedoch eine gute Begleitung der betroffenen MA essenziell. Für einen besseren Überblick über Vorfälle, ihre Auslöser und Folgen könnte die Einführung der Staff Observation Aggression Scale – Revised (SOAS-R)[1] angedacht werden, welche bereits seit 25 Jahren – v.a. in psychiatrischen Anstalten – eingesetzt wird.[2]

Nach einem Vorfall füllt der MA einen Fragenbogen aus (Dauer: 1 Minute), in welchem der Auslöser des Übergriffs, benutzte Mittel, Ziel der Aggression, Konsequenzen und die Intervention zur Beendigung abgefragt werden, um Häufigkeit und Ausmaß der Übergriffe evaluieren zu können. Daraus sind Maßnahmen zum MA-Schutz aber auch für den Patienten-Schutz abzuleiten (Arbeitsumgebung, Notfallpläne, besonders gefährdete Stationen, vulnerable Personen). Auch der betroffene MA profitiert vom Ausfüllen und Bewerten der Situation, indem er im strukturierten Rahmen den Vorfall retrospektiv analysieren und Rückschlüsse für sich ziehen kann.

Nachbetreuung

Zeigt sich, dass beim MA ein Gefühl der Bedrohung bleibt, oder aber ein bestimmter MA immer wieder Ziel von aggressivem Verhalten wird, ist der Arbeitgeber dazu angehalten, gemeinsam Unterstützungsmaßnahmen (z.B. Supervision, Coaching) mit dem MA zu besprechen.

Transparenz über Rechte und Grenzen des MA gegenüber Patienten und Angehörigen

Wichtig für ein professionelles Deeskalationsmanagement ist die Klarheit darüber, welches Verhalten im Anlassfall vom Arbeitgeber erwartet wird und welche Eskalationsstufen es gibt: Welche Rechte räumt der Arbeitgeber dem MA in Konfliktsituationen ein? Welche (sozialethischen und krankenanstaltenrechtlichen) Grenzen sind jedenfalls einzuhalten? Inwiefern und wo kann der MA Unterstützung anfordern?

Woher bekommt man schnell und sicher Hilfe, wenn die Situation eskaliert?

In jeder Einrichtung sollte festgelegt werden, wer jederzeit gerufen werden kann, wenn die Situation mit Patienten oder Angehörigen eskaliert. Solche Regelungen sind oftmals in den Hausordnungen der Einrichtungen (als Punkt der Anstaltsordnung) zu finden, bedürfen jedoch regelmäßiger Kommunikation an die MA.

Während ein Hausverbot von aggressiven oder gewalttätigen Angehörigen über den Gesamtleiter oder den Pater Prior als Rechtsträgervertreter ausgesprochen werden kann, wird eine vorzeitige Entlassung eines Patienten nur nach Einschätzung des Abteilungsleiters und Rücksprache mit der Ärztlichen Direktion erfolgen dürfen.

Referenzen

[1] Palmstierna T, Wistedt B. Staff observation aggression scale: presentation and evaluation. Acta Psychiatr Scand. 1987;76(6):657–63.

[2] Nijman HL, Palmstierna T, Almvik R, Stolker JJ. Fifteen years of research with the Staff Observation Aggression Scale: a review. Acta Psychiatr Scand. 2005;111(1):12–21.