Wann ist jemand tot genug, um ihm Organe entnehmen zu dürfen?


Hirntod

Eine Organentnahme darf (mit Ausnahme von Lebendspenden) erst durchgeführt werden, wenn beim zu Explantierenden der Tod festgestellt wird (§ 5 Abs. 2 OTPG).[1] Meistens wird davon ausgegangen, dass es sich hierbei um den Hirntod handelt. Ein solcher liegt vor, wenn die Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms irreversibel erloschen ist. Damit schreitet der tödliche Desintegrationsprozess des Körpers unumkehrbar voran. Die medizinische Wissenschaft hat seit 1968[2] den Hirntod deshalb als identisch mit dem Individualtod eines Menschen gesetzt. Dieses fachliche Urteil wird vom österreichischen Recht herangezogen, um die Voraussetzung für eine Organentnahme zu überprüfen. Im Jahr 1997 lag in Österreich erstmalig eine Empfehlung zur Durchführung der Hirntoddiagnostik vor, die zuletzt 2013 einer Revision unterzogen wurde.[3]

Kritik am Hirntod

Seit dem Aufkommen des Hirntod-Konzepts gibt es ethische Kritik daran.[4] Einerseits wird fundamental in Frage gestellt, ob die Gleichsetzung von Hirntod und Individualtod anthropologisch haltbar sei. Andererseits gibt es eine pragmatische Kritik an der Sicherheit der Hirntoddiagnostik. Die Kritiker unterstellen den Befürwortern des Hirntod-Konzepts zudem eine von der Organtransplantation interessengeleitete Sichtweise. Trotz anhaltender Kritik, auf die es selbstredend zahlreiche Erwiderungen gibt, hat sich das Hirntod-Konzept heute weitgehend etabliert.[5]

Tod durch Kreislaufstillstand

Der Hirntod ist allerdings keineswegs das einzig anerkannte Todeskriterium. Viel häufiger sterben Menschen nach einem Kreislaufstillstand. Dieser führt freilich in der Folge zum Hirntod, da die fehlende Durchblutung des Hirns in dessen irreversiblem Funktionsausfall mündet. Nunmehr wurde vom Obersten Sanitätsrat eine Empfehlung der FASIM angenommen, welche die Rahmenbedingungen für eine Organentnahme auch nach irreversiblem Kreislaufstillstand präzisiert („donation after cardiac death, DCD“).[6] Schon bisher wurden in Österreich solche Explantationen durchgeführt, wenngleich in geringer Fallzahl.

Mastricht-Klassifikation für DCD

In der Literatur wurden vier Situationen für DCD beschrieben:[7] (I) Tod bei Ankunft im Krankenhaus; (II) Tod nach erfolgloser Reanimation; (III) Tod nach Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen; (IV) Kreislaufstillstand bei vorgängigem Tod infolge primärer Hirnschädigung. Die besondere Problematik der DCD betrifft die Frage, wann ein Kreislaufstillstand wirklich irreversibel ist. Die genannte Empfehlung sieht eine Beobachtungszeit („no touch periode“) von 10 Minuten vor, bevor mit einer klinischen Untersuchung zur Todesfeststellung begonnen werden darf.

Sterbenlassen, um zu explantieren?

In der ethischen Diskussion wird im Kontext der DCD v.a. Kritik an Mastricht-Kategorie III laut: Hierbei kommt es nämlich jedenfalls zu einer Koinzidenz von Verzicht/Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen (z.B. Verzicht auf maschinelle Beatmung), Kreislaufstillstand, Tod und Organentnahme. Ethisch wie rechtlich unzulässig wäre es, den Verzicht/Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen nur deshalb durchzuführen, um an die Organe zu kommen. Die Therapiezieländerung in Richtung Sterbenlassen muss daher unabhängig von Explantationsmöglichkeiten verantwortet werden: nur, wenn lebenserhaltende Maßnahmen nicht mehr indiziert sind oder sie der Patient ablehnt, dürfen sie unterlassen werden.

Referenzen

[1] Organtransplantationsgesetz (OTPG). BGBl. I 2012/18.

[2] Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School. A Definition of Irreversible Coma: Report to Examine the Definition of Brain Death. JAMA. 1968;205(6):337-40.

[3] ÖBIG. Empfehlungen zur Durchführung der Hirntoddiagnostik bei einer geplanten Organentnahme: Entsprechend dem Beschluss des Obersten Sanitätsrates vom 16. November 2013. http://www.goeg.at/cxdata/media/download/empfehlungen_hirntoddiagnostik_organentnahme_inkl_protokoll.pdf (5.3.2014).

[4] President’s Council on Bioethics. Controversies in the Determination of Death. White Paper. Washington, DC 2008. • Berndt C. Ärzte erklären Patienten oft fälschlich für hirntot. München: Süddeutsche Zeitung. http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/falsche-todesdiagnosen-in-krankenhaeusern-aerzte-erklaeren-patienten-oft-faelschlich-fuer-hirntot-1.1891373 (5.3.2014).

[5] Magnus DC, Wilfond BS, Caplan AL. Accepting brain death. N Engl J Med. 2014;370(10):891-3.

[6] FASIM. Empfehlungen zur Durchführung der Todesfeststellung bei einer geplanten Organentnahme nach Hirntod durch Kreislaufstillstand: Entsprechend dem Beschluss des Obersten Sanitätsrates vom 16. November 2013. http://www.goeg.at/cxdata/media/download/empfehlungen_todesfeststellung_organentnahme_nach_hirntod_kreislaufstillstand.pdf (5.3.2014).

[7] Koostra G. History of non-heart-beating donation. In: Talbot D, D’Alessandro AM, Hrsg. Organ Donation and Transplantation after Cardiac Death. Oxford: Oxford University Press; 2009: 1-6.