„Sterbehilfe“ und „Sterben lassen“


Dauerbrenner „Sterbehilfe“

Das Thema „Sterbehilfe“ wird seit Jahrzehnten in Europa kontrovers diskutiert und ist rechtlich unterschiedlich geregelt (siehe Newsletter 2013/2). Jüngst beschloss beispielsweise das belgische Parlament, unter bestimmten Bedingungen die Tötung (auf oder ohne Verlangen) von infaust kranken Minderjährigen zuzulassen und sorgte damit für neuen Diskussionsstoff.[1]

In der öffentlichen Debatte hat sich leider eine undifferenzierte Verwendung der Begriffe „Sterbehilfe“ und „Euthanasie“ eingeschlichen, welche nicht nur eine sachliche Diskussion erschwert, sondern auch den klinischen Alltag beeinträchtigen könnte. Unsicherheit erzeugen in diesem Zusammenhang v.a. Situationen, in denen das Behandlungsteam eine Therapiezieländerung mit rein palliativem Fokus als angezeigt betrachtet, dies aber von Außenstehenden (Angehörigen, Öffentlichkeit) fälschlicherweise als (rechtswidrige) „Sterbehilfe“ eingestuft wird.

Veraltete Terminologie

Traditionell unterscheidet das Recht bei der sogenannten Sterbehilfe zwischen aktiver und passiver (Bezugspunkt Außenseite einer Handlung: Tun oder Unterlassen) sowie direkter und indirekter (Bezugspunkt Innenseite einer Handlung: Intention, Motiv). In den letzten Jahren mehren sich allerdings die Stimmen, die für einen Wandel in der Terminologie plädieren.[2] Zum einen verzerre die Terminologie den Blick auf die geltende Rechtslage, zum anderen verhindere sie die kontextsensitive Entwicklung von personen- und situationsgerechten Lösungen.[3] Vor allem die Unterscheidung zwischen rechtswidriger aktiver und rechtmäßiger passiver Sterbehilfe ist nur bei plakativen Beispielen trennscharf („Todesspritze“). Häufig bestehen Unsicherheiten und Fehlbewertungen bei der Unterteilung von Verzicht, Beschränkung oder Abbruch von kurativ-ausgerichteten Behandlungen.[3] Darüber hinaus ist die „Sterbehilfe“- bzw. „Euthanasie“-Debatte in Deutschland und Österreich historisch belastet und emotional besetzt.

Sozialer Sinngehalt zählt

Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH)[4] befand eine situations- und sachgerechte Unterscheidung allein aufgrund der Bewertung äußerer Kriterien (aktiv/passiv) als für ein rechtliches Urteil ungenügend. Bei einer Behandlungssituation ist man mit einer Vielzahl an medizinischen Maßnahmen konfrontiert. Wird eine Therapiezieländerung („Behandlungsabbruch“) ins Auge gefasst, so muss darüber entschieden werden, wie mit den einzelnen Maßnahmen in Hinblick auf das nunmehr rein palliative Therapieziel umzugehen ist: D.h., situationsabhängig wird man auf einige Maßnahmen von vornherein verzichten (z.B. auf Reanimationsversuche), andere Maßnahmen wird man fortführen, aber nicht eskalieren (z.B. Katecholamindosis). Wieder andere, schon begonnene Maßnahmen wird man schrittweise oder gänzlich zurücknehmen (z.B. Hämofiltration, enterale Ernährung). Schließlich gibt es aber auch Maßnahmen, die selbst bei einem rein palliativen, auf das Sterben-zulassen ausgerichteten, Therapieziel neu begonnen oder intensiviert werden; dies betrifft v.a. alle Maßnahmen zur Symptomlinderung (Schmerz, Atemnot, Übelkeit, Juckreiz etc.). Damit verbunden kann auch eine solche Steigerung der Medikation sein, bei der letztlich ein früherer Todeseintritt in Kauf genommen wird.

 

Diese Analyse zeigt, dass eine Therapiezieländerung immer mit einem Bündel von Maßnahmen verbunden ist, welches niemals nur in einer sogenannten „passiven Sterbehilfe“ bzw. einem bloßen Unterlassen („im Stich lassen“) besteht, sondern immer eine komplexe – im Idealfall gut aufeinander abgestimmte – Kombination von Tun und Unterlassen ist, die nach ihrem sozialen Sinngehalt zu bewerten ist.

Referenzen

[1] Spielberg P. Aktive Sterbehilfe in Belgien: Ausweitung auf Minderjährige beschlossen. Dtsch Arztebl. 2014;111(8):A-292–3.

[2] Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt. Empfehlungen zur Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende. Wien; 2011.

[3] Wallner J. Die richtigen Worte für medizinische Entscheidungen am Lebensende finden. Wien klin Wochenschr. 2008;120(21-22):647–54.

[4] BGH 25.6.2010; BGHSt 55, 191; 2 StR 454/09 [Strafsache gegen Wolfgang Putz].