Individualisierte Medizin – Hope or Hype?


Hoffnungsträger Individualisierte Medizin

Im Bereich der Ethik kann Individualisierte Medizin (IM, auch „Personalisierte Medizin“ genannt) definiert werden als „eine Medizin, die versucht, Stratifizierung und Timing der Gesundheitsversorgung durch Nutzung von Biomarkern auf der Ebene molekularer Signalwege sowie Genetik, Proteomik und Metabolomik zu verbessern.“[1]

 

IM soll also Menschen durch eine umfassende Identifikation von Risiko- und Prognosefaktoren mittels molekularer Diagnosemethoden in Gruppen einteilen, um präventive, diagnostische oder therapeutische Maßnahmen zielgenauer auf diese Gruppen abstimmen zu können. Damit sollen unerwünschte Nebenwirkungen oder wirkungslose Therapien von vornherein vermieden werden.[2] Man erhofft sich damit eine kosteneffizientere Medizin, weshalb zunehmend private wie öffentliche Gelder in die Erforschung der personalisierten Medizin fließen.[3]

 

Ähnlich wie in jedem neuen biomedizinischen Forschungsbereich ergeben sich individual- und sozialethische Fragen zum Umgang mit dem neu erworbenen Wissen in faktischer, medizinischer sowie rechtlicher Hinsicht vor dem Hintergrund von wirtschaftlich geprägten Interessen. Einige dieser Diskussionsfelder können anhand der bestehenden Forschungskonzepte beispielhaft beleuchtet werden:[1],[4]

Fremdnützige Forschung

Das Forschungsdesign der IM basiert auf Fremdnützigkeit, da der konkrete Proband aufgrund der langen Zeitspanne bis zur möglichen Zulassung eines zielgruppenspezifischen Medikaments mit großer Wahrscheinlichkeit nicht unmittelbar profitieren wird.

Informed Consent

Wie können potenzielle Probanden adäquat über mögliche Implikationen der Forschung, aufgeklärt werden, wenn diese zum Zeitpunkt der Studie noch nicht bekannt sind?

Schutz sensibler Daten – pauschale Einwilligung

Als Proband erklärt man sich bereit, der Forschung sämtliche Proben so lange wie möglich und gesetzlich zulässig in Biobanken zur Verfügung zu stellen, um auch Forschungen durchzuführen, deren Zielsetzung, Umfang, Inhalt und Methode heute im Einzelnen noch nicht bekannt sind.

Informationelle Selbstbestimmung

Sollen Studienteilnehmer über Ihre Studienergebnisse informiert werden? Auch dann, wenn es für sie keinen adäquaten Therapieansatz gibt? In welchem Verhältnis steht das Informationsbedürfnis der Probanden über ihren Gesundheitszustand zu einem Recht auf Nicht-Wissen der Verwandten, über deren Risikoprofil man durch genetische Diagnostik plötzlich ebenfalls Bescheid weiß?

Datenschutz

Um eine möglichst lückenlose Krankengeschichte abzubilden, ist es notwendig, möglichst sämtliche bereits irgendwo erfassten Gesundheitsdaten eines Probanden einzuholen. Schon im Forschungsstadium findet also ein Datenaustausch zwischen dem Forschungsinstitut und Dritten statt.

Allokation

Wer entscheidet anhand welcher Kriterien über die Verteilung der Forschungsressourcen innerhalb des Forschungsbereichs der IM (oder auch zwischen IM und konkurrierenden medizinischen Forschungsansätzen)? Welche Regulierungen sollen eingeführt werden, damit IM auch weniger profitablen Anwendungsfeldern offensteht?

Nicht gänzlich neu, aber ein nächstes Level

Bei der Entwicklung von IM sind noch einige Verfahrensfragen zu klären. Wie der kurze Überblick zeigte, haben viele dieser Fragen ethische Implikationen. Themen wie fremdnützige Forschung, Informed Consent, Datenschutz oder Ressourcenallokation sind für die Bioethik nicht gänzlich neu. Mit der IM erreicht die Diskussion zu diesen Themen aber in gewisser weise ein nächstes Level. Die enormen Datenmengen (Big Data), die in der IM verarbeitet werden, die Möglichkeit, nicht nur Krankheiten sondern auch Dispositionen immer feiner einzugrenzen oder die Langfristigkeit vieler Forschungsprogramme stellen eine ethisch fundierte Technikfolgenabschätzung vor analytische Herausforderungen. Dabei geht es letztlich wie immer um eine nachvollziehbare Abwägung zwischen dem absehbaren Nutzen der IM für eine effektivere Prävention, Diagnostik und Therapie und den absehbaren Risiken der IM für die informationelle Selbstbestimmung und Fairness in der Gesellschaft.

Referenzen

[1] Schleidgen S, Marckmann G. Alter Wein in neuen Schläuchen? Ethische Implikationen der Individualisierten Medizin. Ethik Med 2013;25(3):223-231.

[2] GANI_MED. Individualisierte Medizin, http://www.medizin.uni-greifswald.de/GANI_MED/index.php?id=605 (17.3.2014). • SWR. Die Versprechen der personalisierten Medizin, http://www.swr.de/odysso/die-versprechen-der-personalisierten-medizin/-/id=1046894/did=9409632/nid=1046894/pakr7y/index.html (17.3.2014). • Universität Graz; BIOPERSMED, http://www.medunigraz.at/18887 (17.3.2014). • Personalisierte Medizin könnte für Med-Uni ein Innovationsmotor sein, http://www.nachrichten.at/nachrichten/wirtschaft/Personalisierte-Medizin-koennte-fuer-Med-Uni-ein-Innovationsmotor-sein;art15,1329271 (17.3.2014).

[3] BMBF. Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung; 2010:19-22. • BMBF. Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von Richtlinien zur Förderung von Projekten zu „Innovationen für die individualisierte Medizin“, http://www.bmbf.de/foerderungen/21804.php (17.3.2014).

[4] Vollmann J. Persönlicher – besser – kostengünstiger? Kritische medizinethische Anfragen an die „personalisierte Medizin“. Ethik Med. 2013;25(3):233-41.