Grundbegriffe: Doppelwirkung


Handlung und Wirkung

Menschliches Handeln ist im Unterschied zu bloßem Geschehen gekennzeichnet durch (a) Voraussicht von notwendigen, wahrscheinlichen oder möglichen Folgen des Verhaltens und (b) Intention, d.h. die Auszeichnung einer oder mehrerer dieser Folgen als Mittel und/oder Zweck. Handlungen haben teils unvorhersehbare, teils vorhersehbare Folgen. Letztere können gezielt beabsichtigt (Mittel, Zwecke) oder in Kauf genommen (Nebenwirkungen) werden.[1]

Prinzip der Doppelwirkung

Wie sind nun Handlungen moralisch zu beurteilen, die sowohl moralisch richtige als auch moralisch falsche Wirkungen hervorrufen? Für den Utilitarismus stellt dies in der Regel kein Problem dar (solange die positive Wirkung größer ist als die negative). Für die Pflichtenethik oder einen naturrechtlichen Ansatz kann sich jedoch die Frage stellen, inwiefern ich überhaupt moralisch falsche Wirkungen meines Handelns in Kauf nehmen darf. Das Prinzip der Doppelwirkung versucht hierfür eine Lösung. Wie ist z.B. ein womöglich schnellerer Todeseintritt moralisch zu rechtfertigen, wenn dieser nicht die intendierte, wohl aber in Kauf genommene Nebenwirkung einer anhaltenden tiefen Sedierung ist?

  1. Die Handlung [Sedierung] muss grundsätzlich moralisch richtig oder wenigstens moralisch indifferent sein.
  2. Die moralisch falsche Folge [schnellerer Todeseintritt] darf nicht das Mittel zur Erreichung der moralisch richtigen Wirkung [effektive Symptomlinderung] sein.
  3. Die Intention der Handlung darf allein darin bestehen, die moralisch richtige Wirkung [effektive Symptomlinderung] zu erzielen.
  4. Dabei muss die intendierte moralisch richtige Wirkung [effektive Symptomlinderung] einen mindestens genauso großen moralischen Wert besitzen wie die in Kauf genommene moralisch falsche Wirkung [schnellerer Todeseintritt].

Moralische Verantwortung für Handlungsfolgen

Angesichts der Komplexität vieler Handlungszusammenhängen würde eine Totalverantwortung für alle vorhersehbaren Folgen den Menschen überfordern. Unstrittig ist, dass man jedenfalls für gezielt beabsichtigte Folgen Verantwortung trägt. Würde man jedoch bloß in Kauf genommene Nebenwirkungen völlig aus der Verantwortung des Handelnden ausklammern, würde dies zu einer problematischen Überbetonung subjektiver Intentionen führen („Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht“). Das Prinzip der Doppelwirkung versucht, objektive mit subjektiven Rechtfertigungsinstanzen der Moral zu verbinden.

Umsetzung in der Praxis

In der Praxis der Sedierung am Lebensende bedeutet dies beispielsweise, dass man sich als derjenige, der die Sedierung einsetzt, über die damit verbundenen Intentionen bewusst werden muss. Da wir meist gemischte Handlungsintentionen haben („Ich möchte eine effektive Schmerzlinderung erreichen“ und „Ich wäre froh, wenn der Patient endlich von seinem Leid erlöst wäre“), ist es in diesem Zusammenhang wichtig, die Situation gemeinsam im Behandlungsteam und (wo geht) mit dem Patienten oder seinen Stellvertretern kritisch zu reflektieren. Eine ethische Fallbesprechung kann hier mitunter weiterhelfen. Die (auch noch so gut gemeinte) Intention allein reicht jedoch nicht. Die Sedierungshandlung muss intersubjektiv nachvollziehbaren Maßstäben genügen. Diese bedeutet, dass die Sedierung gemäß fachlicher Standards (eingesetzte Mittel, Applikationsformen, Dosierungen, Monitoring etc.) erfolgen muss.

Moral und Recht

In gewisser Weise ist das Prinzip der Doppelwirkung ein überkommenes Analyseinstrument. Das moderne Strafrecht hat mittlerweile Kategorien entwickelt, die dem komplexen Zusammenspiel von Intention und Verantwortung für Folgen besser gerecht werden: Verantwortlich kann sein, wer die Folgen einer Handlung absichtlich oder wissentlich verwirklichen will (direkter Vorsatz). Verantwortlich kann auch sein, wer eine solche Verwirklichung zwar nicht für gewiss, wohl aber ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet (Eventualvorsatz). Verantwortlich kann schließlich auch sein, wer die nötige Sorgfalt bewusst oder unbewusst außer Acht lässt (Fahrlässigkeit). Das Prinzip der Doppelwirkung mit seiner stark an der Absichtlichkeit orientierten Bewertung darf damit nicht als „Persilschein“ angesehen werden.

Referenzen

[1] Forschner M. Erfolg. In: Höffe O, Hrsg. Lexikon der Ethik. 7. Aufl. München: Beck; 2008:68–9.

[2] Stoecker R. Tun, Unterlassen und das Prinzip der Doppelwirkung. In: Stoecker R, Neuhäuser C, Raters M-L, Hrsg. Handbuch Angewandte Ethik. Stuttgart: Metzler; 2011:126–30. ∙ Frey RG. The doctrine of double effect. In: Frey RG, Wellman CH, Hrsg. A Companion to Applied Ethics. Malden, MA: Blackwell; 2003:464–74.