Ethisch fernsehen


Wer Ethik besser begreifen möchte, der sollte viel ins Kino gehen bzw. fernsehen und nicht nur Journals und Bücher lesen (mit Ausnahme dieses Newsletters, selbstredend). Die Film- und Fernsehindustrie selbst wäre Stoff für etliche ethische Analysen. Doch das überlassen wir an dieser Stelle der Medienethik. Was uns hier mehr interessiert, ist der Erkenntnisge-winn aus Film und Fernsehen für die Bioethik.

 

Abgesehen von einschlägigen Dokumentationen und (meist fürchterlich flachen bis unsachlichen) Diskussionsrunden ist der Fundus an für die ethische Debatte wertvollen Spielfilmen und Fernsehserien mittlerweile enorm. Eine kleine Auswahl gefällig? GATTACA (Thema: genetisches Enhancement, liberale Eugenik); Amour (Demenz); Halt auf freier Strecke (Hirntumor); Alles, was wir geben mussten (Organhandel); Hunger (Zwangsernährung); Beim Leben meiner Schwester (Rettungskind); Schmetterling und Taucherglocke (Locked-in Syndrom); Wit (Krebserkrankung). Darüber hinaus zahlreiche Episoden von Emergency Room, House MD oder – ja – Scrubs.

 

Freilich kann man in Hinblick auf solche Filme und Serien fragen, ob sie bioethische Probleme nicht trivialisieren, um der cineastischen Dramaturgie willen holzschnittartig überzeichnen, medizinisch falsche Informationen transportieren und Fehler hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich machen (klassisches Beispiel aus US-Film & Fernsehen: „Wir müssen seine Familie fragen, ob sie mit der Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen einverstanden ist.“) – Bei aller berechtigter Kritik und anzuwendender Vorsicht vermitteln Spielfilme und Fernsehserien aber Dimensionen eines ethischen Problems, die in Fachbüchern und Journals untergehen: Emotionen, zum Beispiel; oder einen räumlichen und zeitlichen Kontext. Jedenfalls sind Film und Fernsehen gute Medien, um in eine – fachlich angeleitete – Ethikdiskussion zu kommen. Nicht umsonst häufen sich entsprechende Veranstaltungen und Bücher dazu.[1]

 

In Hinblick auf die Themen dieser Newsletter-Ausgabe gibt es auch etliche Beispiele aus Film und Fernsehen: etwa „Ein Arbeitstag wie kein anderer“ aus House MD (Season 6, Episode 14) zum Thema Organisationsethik im Krankenhausmanagement (Seite 9). Außer-dem lesen Sie über den janusköpfigen Erfolg der Intensivmedizin, die oftmals zu chronisch kritisch Kranken führt (Seite 3); über eine empirische Untersuchung zur Praxis des Nicht-Eskalierens von lebenserhaltenden Maßnahmen (Seite 5); über die nach wie vor relativ schlechte Outcome-Prognose bei Reanimation (Seite 6); über die Todesfeststellung vor Or-ganentnahme (Seite 7); über die Zulassung der intrauterinen Insemination bei lesbischen Paaren durch den Verfassungsgerichtshof (Seite 11); über die Begriffsverwirrung zwischen „Sterbehilfe“ und „Sterben lassen“ (Seite 12); über das in der Ethik viel zitierte Prinzip der Doppelwirkung (Seite 14); über die ethischen Probleme im Zusammenhang mit der sogenannten Individualisierten Medizin (Seite 16); sowie über einen kanadischen Fall, in dem die Eltern um eine experimentelle Medikation für ihr an Morbus Hunter erkranktes Kind kämpfen (Seite 17).

Referenzen

[1] Shapshay S, Hrsg. Bioethics at the Movies. Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press; 2009. • Schmidt KW, Maio G, Wulff HJ, Hrsg. Schwierige Entscheidungen – Krankheit, Medizin und Ethik im Film. Frankfurt/Main: Haag + Herchen; 2008. • Schmidt KW. Bewegende Szenen: Spielfilme als Sensibilisierung für medizinethische Themenfelder: Eine Anleitung zum Selbstversuch. In: Arbeitsgruppe „Pflege und Ethik“ der Akademie für Ethik in der Medizin e.V., Hrsg. „Für alle Fälle“: Arbeit mit Fallgeschichten in der Pflegeethik. Hannover: Brigitte Kunz Verlag; 2005:182-8.