Verpflichtende Impfung gegen Influenza für Angehörige von Gesundheitsberufen


Grippevorbeugung

Influenza-bedingte Grippeerkrankungen sorgen jedes Jahr für zahlreiche Arbeitsausfälle, Krankenhausaufenthalte und Todesfälle.[1] Die seit längerem angebotene Influenza-Schutzimpfung ist eine einfache Präventionsmaßnahme mit hoher Wirksamkeit. Dennoch ist die Impfrate gerade unter Angehörigen von Gesundheitsberufen sehr gering.[1] Angesichts der Tatsache, dass diese Personengruppe einerseits selbst einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt ist und andererseits in der Lage ist, Infektionen auf geschwächte Menschen (Patienten) zu übertragen, verwundert dieser Befund. Bisherige Versuche, die Impfrate durch Aufklärungsprogramme zu steigern, sind weitestgehend erfolglos geblieben.[2]

Forderung nach Impfpflicht

In Österreich besteht für niemanden eine rechtliche Impfpflicht[3]; der Impfplan des Obersten Sanitätsrats[4] hat lediglich Empfehlungscharakter. Angesichts der eingangs geschilderten Problematik wurde in den letzten Jahren immer wieder die Frage aufgeworfen, ob nicht zumindest für Angehörige von Gesundheitsberufen eine verpflichtende Influenza-Schutzimpfung etabliert werden sollte.[5]

Als Begründung für eine Impfpflicht werden angeführt: Angehörige von Gesundheitsberufen haben gegenüber ihren Patienten eine erhöhte Fürsorgepflicht, die es erfordert, Gesundheitsrisiken soweit wie möglich zu reduzieren. Da die Impfstoffe gegen Influenza gut verträglich seien, gravierende unerwünschte Nebenwirkungen nur in ganz seltenen Fällen auftauchen würden und die Impfung einen hohen Nutzen hätte, sei sie im Rahmen der Fürsorgepflicht jedem Angehörigen eines Gesundheitsberufs zumutbar. Über die Argumente, die sich auf den potenziellen Patientenschutz beziehen, führen die Befürworter einer Impflicht an, dass es auch in die Verantwortung von Angehörigen der Gesundheitsberufe falle, ihre eigene Arbeitsfähigkeit soweit als möglich zu erhalten – gerade in Zeiten, in denen eine effiziente Gesundheitsversorgung besonders vonnöten sei, wie etwa im Fall einer Grippeepidemie.

Wenngleich die grundsätzliche Verantwortung von Angehörigen der Gesundheitsberufe gegenüber ihren Patienten außer Streit steht, muss bedacht werden, dass diese Verantwortung nicht unbegrenzt gilt. Kein Angehöriger eines Gesundheitsberufs ist verpflichtet, seine Gesundheit oder gar Leben aufs Spiel zu setzen, um einem Patienten zu helfen. Ein derartiges Verhalten mag im Einzelfall Anerkennung verdienen, fällt aber in den Bereich des moralischen „Surplus“, der nicht eingefordert werden kann. In Hinblick auf die Influenzaimpfung dürfte aber der Hinweis auf die Grenzen der Verantwortung nicht greifen, da die Belastungen und Risiken, die mit der Grippeimpfung einhergehen, nicht so gewichtig sind, dass sie eine Grenze klar überschreiten würden.

Respekt der Selbstbestimmung

Ein anderes Argument gegen eine Impfpflicht ist auf einer grundsätzlicheren Ebene angesiedelt. In Medizinethik und Medizinrecht gilt der Grundsatz des Respekts vor der Selbstbestimmung jedes einsichts- und urteilsfähigen Menschen. Die Autonomie ist dabei zunächst negativ zu verstehen, das heißt als Abwehrrecht gegen – auch gut gemeinte – Eingriffe in die körperlich-geistige Integrität des Individuums. Demnach würde eine Impfung gegen den Willen des Betroffenen ein Verstoß gegen den Autonomiegrundsatz bedeuten. Die Rechtsordnung kennt solche Zwangsbehandlungen nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen und unterwirft sie einer strengen Prüfung, in deren Rahmen zu erörtern ist, ob das zur Zweckerreichung (weniger Arbeitsausfälle, Krankenhausaufenthalte, Todesfälle) eingesetzte Mittel (Aufklärung, Impfpflicht, etc.) eine effektive, aber gleichzeitig auch die gelindeste Maßnahme darstellt.

Schubsen statt zwingen

Ein Mittelweg zwischen (offensichtlich erfolgloser) Aufklärung, um Menschen davon zu überzeugen, dass sie selbstbestimmt eine Grippeschutzimpfung durchführen lassen sollten, und Impfpflicht wäre die Etablierung von Anreizen, welche die Menschen in die richtige Richtung „schubsen“[6]. Die Palette reicht hier von taktisch gut gewählten Rahmenbedingungen für die Impfung (Zeit, Ort, Erreichbarkeit, ansprechendes Ambiente), über die öffentliche Anerkennung von Impfwilligen (vgl. etwa die Ehrung von regelmäßigen Blutspendern) bis hin zu finanziellen oder geldwerten Incentives (z.B. Freizeit).[7] Für Vertreter einer „reinen Lehre“ der Autonomie mögen solche „Schubser“ korrumpierend auf die Selbstbestimmung aussehen; sie vergessen dabei allerdings, dass die von ihnen vertretene Vorstellung von Autonomie im alltäglichen Leben regelmäßig durch derartige Schubser beeinflusst und verzerrt wird. Für Gesundheitsunternehmen bedeutet der Ansatz „schubsen statt aufklären oder zwingen“ natürlich zunächst einen Mehraufwand, von dem allerdings zu vermuten ist, dass er sich durch geringere krankheitsbedingte Fehlzeiten und geringere nosokomiale Infektionen selbst finanzieren würde.

Referenzen

[1] Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner. Pflegefachpersonen und Grippeimpfung. Bern: SBK: 2008, http://www.sbk-asi.ch/webseiten/deutsch/7service/pdf/Grippe-d.pdf.

[2] Poland GA. Mandating influenza vaccination for health care workers: Putting patients and professional ethics over personal preferences. Vaccine 2010;28(36):5757–9.

[3] Wiedermann-Schmidt U, Rendi-Wagner P, Aigner G, Bechter E, Druml C, Falb P, Holzmann H, Karbus G, Kollaritsch H, Kundi M, Presterl E, Szymanski E-E, Tucek B, Zenz W, Zwiauer K. Impfungen für MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens: Empfehlungen als Erweiterung des Österreichischen Impfplans. Wien: Medical Dialogue Kommunikations- und PublikationsgmbH; 2012.

[4] Bundesministerium für Gesundheit. Österreichischer Impfplan 2013. http://bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Praevention/Impfen/Oesterreichischer_Impfplan_2013.

[5] Wicker S, Rabenau HF, Ackermann H, Poland GA, Marckmann G. Rechtfertigt der Patientenschutz verpflichtende Impfungen? Dtsch Med Wochenschr 2011;136:1305–11. ∙ Stewart AM. Mandatory vaccination of health care workers. N Engl J Med 2009;361(21):2015–7.

[6] Thaler RH, Sunstein CR. Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt. Berlin: Ullstein; 2010.

[7] Anikeeva O, Braunack-Mayer A, Rogers W. Requiring influenza vaccination for health care workers. Am J Pub Health 2009;99(1):24–9.